Heft 3/2010 Weichspüler: Wellness in Kunst und Konsum

 

 

Nachwort.

Weichspüler


»Gibt es eine weibliche Typografie?« Heute klingt die Frage einigermaßen abstrus. Vor etwa 20 Jahren wurde mir diese Frage von einem späteren Kollegen im Anschluss an meinen Bewerbungsvortrag an der FH Mainz gestellt. Während der Arbeit an diesem Heft über »Wellness« kam sie mir wieder in Erinnerung. Sanft und weich in Formen und Farben, auf jeden Fall kursiv und sicher mit Schnörkeln … die Konnotationen reproduzieren nur mehr Klischees. Die Frage führte, ginge man ihr weiter nach, in ein gänzlich anderes Gebiet. Aber gibt es so etwas wie Wellness in der Typografie?
Aus der Perspektive der Produktwerbung betrachtet fällt auf, dass im Wellness-Kontext besonders Schreibschriften und handschriftlich anmutende Antiqua-Schriften überwiegen. Kursivschnitte simulieren Kundennähe. Es geht gerade nicht um gute Lesbarkeit, auch im Sinne klarer, übersichtlicher Strukturen, sondern um ganz einseitige Vorstellungen von »Wohlfühlen«: wattig, plüschig, schwülstig, soft. Typografische Gestaltung als romantisierende Inszenierung. Setze ich dagegen Wellness mit Wohlfühlen im Sinne leichter Lesbarkeit gleich, so kann man die Frage durchaus bejahen. Funktionale Typografie im Kontext eines Magazins ist »Lesetypografie« (Hans Peter Willberg). Es gilt, die Balance zu halten zwischen ungestörtem Lesen einerseits und Aufmersamkeit heischendem Lesen andererseits. Ersteres erfordert ein gewisses optisches Gleichmaß, Ruhe und Ausgeglichenheit, zu erreichen durch eine Reduzierung der typografischen Parameter; letzteres das genaue Gegenteil: Unruhe, Lautstärke, Größe, Ungewohntes. Die dafür von vielen Typografen formulierten Regeln sind dabei höchstens Anhaltspunkte, denn die Wirkung hängt letzten Endes vom Inhalt und den konkreten, jeweils wie der anderen Umständen ab. Hinzu kommt, dass unsere Lesegewohnheiten sich ändern. Zwar gelten nach wie vor für Zeitschriften andere Regeln als für Bücher, die ja auch länger halten sollten. Aber was früher leicht als zu »laut« oder optisch »auseinanderfallend« empfunden worden wäre, wird heute eher als »angenehm luftig« empfunden.
»Wellness« in der Typografie ist ein Produkt mannigfacher Faktoren. Die Schriftwahl allein sagt noch fast nichts aus: Wenn man nicht gerade eine ausgesprochene Headline-Schrift oder eine dekorative Zierschrift wählt, dann sind die meisten Schriften »gut lesbar«. Oder, um es pointierter auszudrücken: Der Computer gibt mir die Möglichkeit an die Hand, jede Schrift durch falsche Behandlung schlechter lesbar zu machen. Welche Schriftgröße mit welcher Laufweite und welchem Zeilenabstand in welcher Satzbreite auf welchem Format? Das sind die immer gleichen Fragen, für die immer neue und andere Lösungen gefunden werden können. (Und vom Einfluss des Druckes und des Papiers war hier noch gar nicht die Rede.) Eindeutige Antworten gibt es nicht, nicht nur, weil jede Schrift anders ist, sondern auch weil jeder Mensch anders hinschaut und liest. Gleichwohl gibt es in der langen Geschichte gesetzter und gedruckter Schrift seit Gutenberg viele Beispiele, bei denen sich alle einig sind, dass sie sehr gut sind. Und trotzdem können wir es nicht einfach so machen wie Aldus Manutius vor 500 Jahren oder wie Giambattista Bodoni vor ca. 250 Jahren oder wie William Morris vor etwas über 100 Jahren. Historisierung ist keine Lösung.
Wir sind im Querformat Nr. 3 bei unseren einmal gewählten Schriften Swift und Textra geblieben, auch im Sinne einer Kontinuität über die einzelnen Nummern hinweg. Aber die beiden Schriften haben die Rollen getauscht. In der schmal laufenden Textra stehen jetzt die Fließtexte, was dem Heft als ganzem einen modernen Grundton gibt. Die Swift wird in kursiven Versalien für herausgehobeneTextpassagen und für die Überschriften der Bildstrecken verwendet, der gerade Schnitt kommt für Zwischenüberschriften zum Einsatz. Die Versalien der schmalfetten Futura bei den großen Headlines, unterlegt mit farblich reduzierten Ausschnitten aus dem Titelbild, sorgen für eine Verbindung von außen und innen. Untertitel und Autorennamen stehen in kursiven Versalien der schmalmageren Futura. Der Schrifteinsatz ist streng funktional und trägt zur klaren Gliederung bei. Die schwarzen Linien unterstützen diesen Ansatz. Von der Cooper Black Swash Italic, die uns wegen ihrer Rundungen, ihres optischen Gewichts und ihrer schönen Schnörkel zuerst so passend erschien, ist nicht viel übrig geblieben. Insgesamt ist die typografische Gestaltung zurückhaltender, nüchterner, trockener, reduzierter, also weniger verspielt, weniger »quer« geworden als in den vorangegangenen Nummern, damit aber vielleicht auch präziser, klarer, ernsthafter. Das (typografisch) Entscheidende spielt sich in Nuancen ab, in feinen Modulationen.
Auf der Bildebene trennen sich die beiden Bildbereiche voneinander: Eigenständige Bildstrecken sind deutlich als solche zu erkennen und setzen sich von den Bildern, mit denen die AutorInnen ihre Artikel begleiten, klar ab. Wir freuen uns, wenn es uns auch diesmal gelungen ist, Sie beim Lesen und Betrachten in diesen Balancezustand zwischen Ruhe und Aufmerksamkeit hineinversetzt zu haben – und womöglich jede/n auf andere Art und Weise. Wenn es Ihnen gefallen hat, empfehlen Sie uns bitte weiter (und abonnieren Sie)!
Zum Schluss und vor allem ein herzliches Dankeschön an Ulrike Lier und Oliver Steinert, die dieses Heft sehr konzeptionell mitgedacht und mit immensem Einsatz gestaltet und produziert haben!


Ulrike Stoltz