Heft 4/2011 Tattoo

 

editorial


Editorial.

Tattoo


Nach der persönlichen Meinung zum tätowierten Oberarm seiner Ehefrau Bettina Wulff befragt, ­antwortete ­­­der deutsche Bundes­präsident: »Ich finde es cool.« Das Tribal-Tattoo der First Lady ist ein Indiz dafür, dass die Tätowier­ung im 21. Jahrhundert ­salonfähig geworden ist. Selbst im bürger­lichen Lager wird sie als eine Form des Körperschmucks ­akzeptiert. Damit scheinen die dem Hautbild traditionell zugeschrie­benen Eigenschaften des Fremden, Wilden und Anderen auf den Kopf gestellt zu sein. War das Tattoo lange Zeit Zeichen sozialer Dis­tink­tion und Identifizierung gesellschaftlicher Außenseiter, Medium der Selbst- und Fremdstigmati­sierung von Seeleuten, ­Verbrechern, Prostituierten oder Rockerbanden, so haftet ihm ­­heute offenbar nur noch ein Hauch von Rebellentum an. Die Tattoo-Ausgabe von Querformat fragt angesichts der ­aktuellen Hochphase der Tätowierungs-Mode – und der parallel dazu einsetzen­den massenhaften Entfernung von Tattoos – nach den Prozessen der Neu- und Um­­codierung der Täto­wierung sowie nach den Besonderheiten des Me­diums ›Hautbild‹. Durch einen kulturgeschichtlichen Zugang werden die aktuellen ­Entwicklungen der Tätowierung ­historisch eingeordnet und neue Perspektiven eröffnet. ­So zeigt sich etwa bereits gegen Ende des 19. Jahrhunderts eine besonders in Adelskreisen ver­breitete ›Tätowierungswut‹, welche die Tattoo -­Mode gut hundert Jahre später wie ein Déjà-vu erscheinen lässt. Zentral für das Bildmedium der Tätowierung ist dessen Verknüpfung mit einer kolonialen und exotis­tischen Perspektive. Seitdem durch James Cooks Reiseberichte über die Südsee im 18. Jahrhundert die Kunst des Hautstichs in Europa ­populär wurde, galt und gilt sie als Zeichen für das erotisierte Fremde, für einen magisch-mythischen, von Kultus und Riten begleiteten Weltentwurf. Vor allem im Bürgertum des 19. Jahrhunderts finden sich Faszination und Ablehnung ­gegenüber dem Tattoo von Anfang an und formen so den Doppel­charakter der Tätowierung als Stigma und ­Aus­­zeichnung gleichermaßen. Ob als kuriose Erscheiung in Side Shows gegen Geld ­bestaunt oder im Rahmen krimi­nologischer Systematisierungs­diskurse vorgeführt – die ­Bandbreite tätowierter Menschen bewegt sich zwischen Selbst- und Fremdmarkierung, zwischen freiwilliger und ­unfreiwilliger Tätowierung, sie kann Identitätsproduktion und Herrschaftstechnik zugleich bedeuten. Diese Ambivalenz spiegelt sich auch in der religiös geprägten europäischen Geschichte der Täto­wie­rung wider. Neben dem im ­dritten Buch Moses festge­haltenen biblischen Tätowierverbot stehen die Praxis der Tätowier­ung als Er­kennungs- und Abgrenzungszeichen im frühen Christentum, die Pilger- und Kreuzfahrer-Tätowierungen der frühen Neuzeit oder auch die ­tätowierten ­Gilden­zeichen des Mittel­alters. Eine besondere Rolle scheint im christ­lichen Kontext auch die mit der Herstellung des Haut­­bildes verbundene Schmerzerfahrung zu spielen – das Tätowieren kann hier auch als eine Praktik der Selbst-Stigmatisierung und SelbstGeißelung verstanden werden. Die Bedeutung des Schmerzes bei der Herstellung tätowierter Zeichen unter der Haut ist als generelles Charakteristikum dieses Bild­mediums von Interesse. Das ­unter Schmerzen in den Körper eingestochene Bild fungiert als visualisierte Erinnerung. Die Tätowierung trägt so zur Persönlichkeits- und Identitätsproduktion bei und soll angesichts des er­tra­genen Schmerzes für Kraft und Stärke des Individuums stehen. Zugleich weist das ›ewig‹ haltbare Bild auch in die Zukunft – über das Speicher­medium Haut ist es mit dem Tätowierten bis über dessen Tod hinaus verbunden, auch wenn sich sein Erscheinungsbild am ­erschlaffenden Seniorenkörper verändert. Während die kulturhistorischen ­Forschungen bislang Schwerpunkte auf ethnologische und soziologische Fragen legten, lenkt Querformat den Fokus auf kunst- und bild­wissenschaftliche Gesichtspunkte. Neben körperbezogenen Aspekten der Tätowierung werden auch ­deren bildhafter Charakter und die Verbindungen zu ästhetischen ­Debatten untersucht. Wie diese ­besonderen, für die ›Ewigkeit‹ ­gedachten Bilder überhaupt ­aussehen, ist eine zentrale Frage der hier versammelten Essays. So gerät das Oszillieren der Motive zwischen Standardisierung und ­Individualisierung vor dem Hintergrund einer Ikonografie der ­zeitgenössischen populären Haut­bilder in den Blick. Neben dem ­Körperbild ist die Definition und Herkunft der Tätowierung als ­Körperschrift zentral. Gestochene Wörter sind aktuell ­in Deutschland die beliebteste Tattoo-Form. Über die Verwendung bestimmter Typografien lassen sich unterschiedlichste Bedeutungshori­zonte imaginieren, die Verbindung von ­Tätowierung und Ornament wiederum zeigt sich in der Re­naissance der Tribal-Motive. Über seinen Status als Körperschmuck und populärkulturelles Bildmedium hinaus fand das Tattoo ­­in den letzten Jahren auch Eingang in die Gegenwartskunst ebenso wie in Ausstellungen, in denen die Tätowierung mit musealen Kontexten konfrontiert wurde. Parallel zum Grenzbereich von Kunst / Tätowierung betrachtet Querformat auch den zeitgenössischen Tattoo-Boom als kommerzielles Phänomen, wie er in den zahlreichen Magazinen, in Studios und bei Tattoo-Conventions zum Ausdruck kommt. Interessanterweise scheint der Zusammenhang von Tätowierung und Geschlecht ­dabei – zumindest aus westlicher und zeitgenössischer Perspektive – keinem eindeutigen Muster zu ­folgen. Die Markierung des ›An­deren‹ durch den Hautstich ist ­offenbar nicht an die Codierung ­eines vergeschlechtlichten Körpers gebunden, wird weder eindeutig mit Weiblichkeit noch mit Männlichkeit assoziiert. Dem Tattoo scheint somit nicht nur das Versprechen ­einer gesteigerten Individualität ­innezuwohnen, sondern auch eines Zugewinns an Souveränität und Freiheit unabhängig von der Geschlechtszuordnung. Ob sich dieses Versprechen allerdings langfristig einlösen wird oder nur als Wunschvorstellung entpuppt, bleibt ­abzu­- warten.

Wir wünschen viel Vergnügen beim Sehen und Lesen!

Sabine Kampmann, Alexandra Karentzos, Birgit Käufer,
Alma-Elisa Kittner, Thomas Küpper