Heft 1/2008 Nippes

 

 

Nachwort.
What you see is different from what you get


Ein Blatt Papier ist ein dreidimensionales Objekt. Wer in Zeiten digitaler Publikationen die »analoge«, gedruckte Form der digitalen vorzieht, stellt sich eine ­besondere Aufgabe. Das Produkt soll am Ende nicht nur inhaltlich brillieren, ­die gedruckte Ausgabe rechtfertigt sich heutzutage gerade dadurch, dass sie die druckspezifischen Möglichkeiten nutzt. Zeit­genössi­sche Gestaltung, deren Verweis auf die Inhalte sowie technisch saubere Pro­duk­tion sind dabei nur ein Aspekt. ­Hinzu kommt die Materi­alität, die der sinnlichen Erfahrung etwas bietet, wozu kein digitaler Download im Stande ist: Körperlichkeit ­in unsere Gedan­ken­welt von Kitsch und Nippes ­zu bringen. Körperlich erfahrbar ist schon das Drehmoment des Heftes, es gibt kein durchgängiges Oben und Unten. Einzelne Artikel sind quer im Format platziert, sie zwingen den Leser, das Magazin zu drehen, oder eine andere Lese­position einzunehmen. Die Autoren dieser Texte sind die »Quereinsteiger«: ­Studierende der Kunstwissen­schaften, die ihre Textbeiträge im Rahmen eines Seminars erarbeitet haben. Das ge­stal­terische Konzept von der ersten Skizze über eine lange Ent­wurfs­phase bis hin zur  Reinzeichnung wurde parallel dazu von Studierenden des Kommunika­tions­design geleistet, zum Schluss in einem kleinen Team. »Der Kopf ist rund, damit das Denken die Richtung ändern kann« (Francis Picabia)
Als Typografen/innen ist es eine unserer Aufgaben, ­einem Ob­jekt, wie hier ei­nem Magazin, eine dem Inhalt entsprechende Form zu geben. Der Blick auf den Maga­zinmarkt, ein Durchstreifen der Regale in Zeitschriftenhandlungen und Museums­shops fördert unterschiedlichste Formen und Konzepte zu Tage. Magazine er­freu­en sich derzeit bei Designer/innen einer besonderen Beliebt­heit. Sie bieten ein zu gestaltendes Feld, das umfang­reicher ist als ein Prospekt, aber nicht ganz so »der Ewig­keit verhaftet« zu sein scheint wie ein Buch. Denn Ma­ga­zine sind stärker an den Zeitgeist gekoppelt. Dabei ­wird die alte Regel, die bei den meis­ten Magazinen bis heute gilt, dass nämlich, um bestehen zu können, eine visuelle Wiedererkennbarkeit gewährleistet sein muss, gerade bei kleineren, experimentelleren Magazinen zunehmend in Frage gestellt. Gestalterische Ent­scheidungen sollen flexibel bleiben, jedes Heft soll anders aussehen. Gleichwohl soll ein Zusammenhang erkennbar bleiben: Logo und der Schriftzug »Querformat«, die Größe des Magazins, Satzspiegel und die Pagina werden Sie beim nächsten Mal vielleicht wiedererkennen.
Auch die gewählten Schriften werden wohl zu den bleiben­den Elementen gehören. Für den Fließtext verwenden wir die Textra und die Swift. Die starken Serifen der Swift und ihre deutlichen Binnenräume machen sie zu einer robusten Schrift für lange Texte. Auch die Textra eignet sich, wie der Name schon andeutet, für Mengentext. Beide Schriften ­sind in ­gro­ßen Schriftgrößen markant und eigenwillig. In dieser Aus­gabe wird die Swift für alle Texte in normaler Lese­rich­tung verwendet, die Textra für alle quer dazu laufen­den Texte, Auszeichnungen jeweils in der anderen Schrift. Dazu gesellt sich für alle Überschriften die eigenwillige Steile Futura. ­Sie stellt visuelle Brücken zwischen den verschiede­nen Text­­ebenen her und wirkt durch die Verlaufs­färbung selbst schon bildhaft.
Wir leben in unserem Alltag längst in einer Bilderwelt, und so scheint es nur kon­sequent, auch im wissenschaftlichen Kontext dem Bild mehr Gewicht zu geben. Es ist mehr als eine Referenz oder Stütze für die Erinnerung. In der Entwurfsphase wurde in zahlreichen Gesprächen der Vielfalt der Interpretations- und ­damit auch Bewertungsmöglichkeiten ­von Bildern nach­gespürt. Die Leser/innen werden noch ganz andere Rezep­tions­weisen und Urteile hinzufügen. Das Bild erzählt seine eigene Geschichte, ob es einen eigenen Diskurs führen kann, wird sich noch zeigen. Für die konkrete Arbeit der Designer/innen bedeutet das, dass zu ihrer Co-Autorschaft, die sie durch die Gestaltung ohnehin ­ha­ben, noch die Mög­lichkeit hinzutritt, als Bildautor/innen eigen­ständige Beiträge zu verfassen. Für die Text-Autor/innen heißt das, die Eigenständig­keit der Bilder und ihr immer unterschiedliches Verhältnis zum Text in einem Magazin wie Querformat beim Schreiben vor Augen zu haben. Wie dies dann konkret aussieht, entscheidet sich im Druck: »Drucken ist ein Aben­teuer.« (HAP Grieshaber)
»Einer denkt was und schreibt es auf und liest es und lässt es stehen und Anderer liest es und denkt, alle sollen das lesen und druckt es und Alle lesen es und denken, das hat Einer gedacht, und denken nicht, das hat Anderer gedruckt.« (Hans-Peter Willberg) Auf welche Art von Abenteuer wir uns mit diesem Heft einließen, war uns nicht unbedingt von Anfang an klar. Und auch jetzt, wenn wir, relativ kurz vor Drucklegung, diesen Text schreiben, wissen wir noch nicht, wie es ausgehen wird. Wir haben eine Vorstellung, wir werden die Daten mit größtmöglicher Sorgfalt vorbereiten, und geben dann alles vertrauensvoll in die ­Hände der Drucker und Buchbinder. Wir drucken vierfarbig auf rosa Papier, mit teilweise weiß unterdruckten Bildern. Hätte man das Rosa nicht einfacher auch drucken können? Der Unterschied ist: Rosa Papier ist durchgefärbt, während der rosa Druck eben nur auf dem Papier stünde. Man sieht es im Anschnitt. What you see is, solange es im Entwurfsprozess auf dem Bildschirm erscheint, nur ein digitales Dokument. What you get is, gedruckt, mehr als das. Jede Zeitschrift ist ein Objekt in Raum und Zeit; Querformat No. 1 verkörpert Nippes – rosa, kitschig, que(e)r.
Querformat ist daher vor allem anderen ein Prozess. Ein Ding in der Zeit, das sich kon­tinuierlich dreht, verändert, wächst, zusammenbricht, aufrichtet und verzweigt. Da wird geschraubt und gefeilt, gebaut und wie­der abgerissen, durchkreuzt, verbessert und stän­dig neu begonnen. Zusammen zu arbeiten heißt »daring to do, and daring to be done to« (Judith Hoffberg). Am Ende wird das Arbeitsergebnis in die Unabhängigkeit entlassen. Es gehört uns allen, und gleichzeitig niemandem mehr – und damit Ihnen, den Leser/innen.

Jörg Petri und Ulrike Stoltz